Cinearte: Der berufliche Selbstmord der Frauen

Der Branche gehen die Arbeitskräfte aus. Dass liegt nicht nur daran, dass mehr gedreht wird. Einige kehren der Branche einfach den Rücken. Warum? Ein Erfahrungsbericht mit Vorschlägen.

Text: Josephine Kroetz

Ich bin jetzt seit über 10 Jahren beim Film. Ich habe mit 17 mein erstes Praktikum gemacht und wusste sofort, da will ich hin. Die Mischung zwischen laufender Baustelle und Kunst, der Rhythmus, der Typ Mensch, der sich für den Beruf entscheidet, das traf alles meinen Geschmack. Man verdient subjektiv betrachtet nicht schlecht, kann im Winter ein paar Wochen wegfahren ohne zu befürchten den Job zu verlieren und es ist äußerst vielfältig und abwechslungsreich. Aber der Schein trügt und nicht zu knapp. Vielleicht war ich noch zu jung, um das endlose Spiel zu durchschauen. Vielleicht habe ich mich auch von den unzähligen Wichtigtuern blenden lassen. Den Weitblick hatte ich auf jeden Fall nicht und jetzt stehe ich da ohne Ausbildung, ohne Abschluss, mit einer Berufsbezeichnung die man „Set-Aufnahmeleitung“ nennt und mit der ich woanders nichts anfangen kann.

Meine berufliche Hinrichtung fand allerdings erst statt, als ich Mutter wurde. Es fing schon damit an, dass mir die Elternzeit durch die Agentur für Arbeit nicht anerkannt wurde, weil ich nicht „unmittelbar vor dem Mutterschutz“ sozialversicherungspflichtig war. Zwischen dem Zeitkonto und dem Mutterschutz lagen etwa zwei Wochen. Ich stand also da mit einem einjährigen Kind, ohne Anspruch auf Arbeitslosengeld. Der Gedanke, wieder in den Job einzusteigen als wäre nichts gewesen war absurd: tariflich festgelegte 13-Stunden-Tage (2016), Reisebereitschaft, Bereitschaft zur Arbeit an Wochenenden und Feiertagen sowie Nachtarbeit, kurzfristige und absolute Verfügbarkeit. Das mag alles machbar sein, wenn man ungebunden ist, aber mit Kindern ist das unmöglich.

Jetzt wird der eine oder andere Kinderlose in der Runde laut aufschreien und den Einwand der Kinderbetreuung kundtun. Danke dafür, als würden wir Eltern nicht selbst auf den Gedanken kommen. Aber auch Kindermädchen möchte gerne feste Zeiten haben, daher ist es gar nicht so einfach jemanden zu finden, der tatsächlich bereit ist, die gleichen miserablen Arbeitsbedingungen zu akzeptieren, die wir Tag täglich über uns ergehen lassen. Und wenn man doch jemanden findet, dann will derjenige das natürlich dementsprechend entlohnt kriegen und wenn du dir das alles hundert Mal hin und her gerechnet hast, dann kommt unterm Strich heraus, dass du netto auf das gleiche Geld kommst, wenn du einen Mini-Job machst und dein Kind selbst betreust.

Deshalb kann ich mich für die aktuellen Gleichberechtigungs- und Quotendebatten nur wenig begeistern, denn sie verfehlen alle grundsätzlich unser gesellschaftliches Hauptproblem. Es gibt kaum Frauen in hohen, führenden Positionen beim Film (sowie in anderen Branchen) weil wir Kinder kriegen und danach gibt es für uns keinen Platz mehr! Dann sind wir raus! Entweder lebst du wie ein Mann oder du kannst deine Karriere vergessen, das ist das Fazit!

Es wäre denkbar einfach, Teilzeitarbeit beim Film einzuführen, die Arbeitgeber würden sogar davon profitieren. Sie hätten frische, motivierte Arbeitnehmer die 5-6 Stunden am Tag Höchstleistung erbringen. Es würde dem Fachkräftemangel entgegenwirken, es würde Rückkehrer geben und alle könnten sich ein Fairtrade-Bapperl auf ihre Produktionen kleben. Man könnte sich logistisch völlig neu organisieren. Ich beispielsweise würde mir den Job mit meiner langjährigen Kollegin teilen, die mittlerweile auch Kinder hat. Dadurch wären wir nicht auf Kita-Öffnungszeiten angewiesen, sondern würden die Kinder gegenseitig übernehmen.

Nun sprechen wir hier immer nur von Müttern, tatsächlich gibt es aber auch viele Väter, die so einem Modell nicht abgeneigt wären. Würde man also noch einen Schritt weiter gehen und abteilungsübergreifend arbeiten, könnte ich mich beispielsweise direkt mit meinem Mann abwechseln und der Arbeitgeber hätte somit sowohl eine Früh- wie auch eine Spätschicht abgedeckt.

Ich meine, man könnte es natürlich auch ganz einfach machen indem man die große Lüge der Drei-Stunden-Bereitschaft aus unserem Tarifvertrag streicht und Drehtage grundsätzlich auf 8 Stunden begrenzt. Aber das ist zu einfach.

Konzentrieren wir uns doch auf die Frage, warum es so ein Modell in unserer Branche nicht gibt. Richtig, es hat mit Kosten zu tun. Aber über welche Kosten sprechen wir da eigentlich? Wir sprechen über Sozialabgaben. Der Arbeitgeber müsste zwei Personen statt einer sozialversichern, und das ist es ihm nicht wert.

Letzten Sonntag kam ich nach einer 6-Tageswoche nach Hause und sagt zu meiner 4-jährigen Tochter: „Morgen hat die Mama frei.“

„Das ist gut“, antwortet sie „immer wenn du arbeitest, denke ich Du bist gestorben“.

 

© Josephine Kroetz, erschienen in CINEARTE 454 / 1. August 2019 – crew-united.com