Proquote-Film: DIE SET-AUFNAHMELEITERIN JOSEPHINE KROETZ IM GESPRÄCH MIT BARBARA ROHM

© Josephine Kroetz

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„Wenn wir unsere berufliche Eitelkeit ablegen können, dann gibt es eigentlich keinen Job am Set, den man sich nicht teilen könnte, mit Ausnahme der Schauspielabteilung. Damit wären die Produktionsabläufe wie wir sie kennen, weiterhin gewährleistet.“
Josephine Kroetz über ihren Beruf als Aufnahmeleiterin, Arbeitsbedingungen am Set und Chancengleichheit

BR: Josephine, Du arbeitest als Set-Aufnahmeleiterin und Schauspielerin. Warum hast Du Dich für eine Karriere in der Filmbranche entschieden?

JK: Ich habe mit 17 mein erstes Praktikum beim Film gemacht und bin dabei geblieben. Ich bin ein Set-Mensch, das ist ganz klar.

BR: Wie wird man Set-Aufnahmeleiterin, gibt es dafür eine Ausbildung?

JK: Es gibt für die wenigsten Berufe am Set eine Ausbildung. Ich halte das für ein großes Manko. Denn kaum eine Tätigkeit beim Film ist, auch nach jahrelanger Erfahrung, ein staatlich anerkannter Beruf. Dadurch ist es praktisch unmöglich, später in einen anderen Bereich zu wechseln oder sich beruflich weiterzuentwickeln.
Unsere Branche bedient sich des Learning-by-Doing Prinzips, was die Arbeitssituation insofern verschärft, dass erfahrene und qualifizierte Kollegen leicht, durch junge und billigere Arbeitskräfte, ausgestochen werden. Hätte man ein Ausbildungsmodell für Filmschaffende, würde das nicht mehr passieren, denn dann wären die Produktionen angehalten, die jeweiligen Positionen mit tatsächlich qualifizierten Arbeitnehmern zu besetzten.
Wie wird man also zum Set-Aufnahmeleiter? Man fängt als Set-Runner an (bis zur Einführung des Mindestlohns 2015 waren das Praktikanten die für 450€ im Monat 60 Stunden pro Woche gearbeitet haben.). Wenn man das einigermaßen gut macht, nimmt einen schnell der nächste Set-Aufnahmeleiter als Assistenten mit, denn Set-Assistenten sind Mangelware. Hat man sich als solcher dann einen Namen gemacht geht der Sprung zum Set-Aufnahmeleiter meist recht schnell, denn auch da ist der Personalmangel deutlich zu spüren.

BR: Wie sieht der normale Arbeitsalltag einer Set-Aufnahmeleiterin aus?

JK: Als Set-Aufnahmeleitung ist man für die Koordination eines reibungslosen Drehablaufs verantwortlich. Man ist das Bindeglied zwischen den einzelnen Abteilungen und unmittelbarer Vertreter der Produktion am Set. Wir organisieren, behalten die Zeiten im Blick, machen Druck und sorgen für das allgemeine Wohlbefinden. Wir sind die ersten die da sind und die letzten die gehen.
Was am Set alltäglich ist? Das Mittagessen und die Sweetyplatte. Aber das ist ja auch der Reiz daran: wechselnde Motive, verschiedene Leute, keine Routine.

BR: Du bist Mutter einer kleinen Tochter. Wie hat sich Deine Arbeitssituation nach der Geburt Deiner Tochter verändert?

JK: Meine Arbeitssituation hat sich extrem verschlechtert seit ich Mutter geworden bin: 100% Flexibilität und Verfügbarkeit, 7 Tage die Woche, rund um die Uhr, sind mit einem Kind nicht zu vereinen. Ich habe spätestens um 07:15 Uhr Arbeitsbeginn und bin frühestens um 18:00 Uhr fertig, da sind die Anfahrten aber noch nicht mitgezählt. Kindergärten mit diesen Öffnungszeiten gibt es bei uns in Bayern nicht, wobei sich da ohnehin die Frage stellt, ob das einem Kind überhaupt zuzumuten ist. Eine Nanny ist unterm Strich einfach zu teuer, da kann man am Ende auch einen 450 € Job nur ein paar Stunden die Woche machen. Da mein Mann auch Filmschaffender ist, bleibt uns nicht anderes übrig als uns abzuwechseln. Es ist auf jeden Fall die Stress-freieste Variante, wenn auch nicht die lukrativste, denn statt das ganze Jahr arbeiten zu können, kann ich das lediglich 4-6 Monate.

BR: Welche Schritte müsste die Branche tun, damit Mütter und Väter ihren Beruf und die Sorgepflicht für Kinder oder die Pflege von Angehörigen miteinander in Einklang bringen können?

JK: Es gäbe da verschiedene Möglichkeiten, die einfachste wäre ein Teilzeitmodell einzuführen. Wenn wir unsere berufliche Eitelkeit ablegen können, dann gibt es eigentlich keinen Job am Set, den man sich nicht teilen könnte, mit Ausnahme der Schauspielabteilung. Damit wären die Produktionsabläufe wie wir sie kennen, weiterhin gewährleistet. Eine andere Möglichkeit wäre die Höchstarbeitszeit von 12 Stunden pro Tag auf 8 Stunden zu senken. Dazu müsste man die 3 Stunden Bereitschaft, die wir reell gar nicht haben, aus unserem Tarifvertrag streichen. Dass es dazu kommt, halte ich allerdings für ausgeschlossen.

BR: Flexible Arbeitszeitmodelle bedeuten für Produzent*innen mehr Ausgaben bei der Sozialversicherung. Gibt es auch Vorteile?

JK: Es gibt sogar sehr viele Vorteile. Es würde auf einen Schlag mehr Personal zu Verfügung stehen. Nicht nur Mütter und Väter, zum Beispiel auch Kollegen mit langjähriger Berufserfahrung, die die Branche verlassen haben, weil die Arbeitszeiten einfach zu lang sind. Es würden sich vielleicht auch wieder mehr junge Kollegen dazu entscheiden, dauerhaft beim Film zu bleiben wenn eine Work-Life-Balance garantiert werden kann. Denn die Arbeitsbedingungen beim Film sind völlig veraltet und unattraktiv: die Gagen steigen nicht, die Produktionszeiträume werden immer kürzer, die Drehtage länger, die Qualität lässt enorm nach, kurzum: wir sparen uns kaputt!

BR: In einem Artikel hast Du geschrieben, dass Du Dich für die Quoten- und Gleichstellungsdebatte nicht begeistern kannst. Was sollte sich daran ändern, damit Du Dich angesprochen fühlst?

JK: Quoten- und Gleichstellungsdebatten begeistern mich nicht, weil sie aus meiner Sicht am Thema vorbeizielen. Ich persönlich habe kein Gleichstellungsproblem in meinem Beruf, ich erfahre die gleiche Akzeptanz wie meine männlichen Kollegen und werde nicht minder bezahlt. Grundsätzlich geht es doch um ein branchenübergreifendes und vor allem gesellschaftliches Problem, und zwar, dass man nur Karriere machen kann, wenn man in der Lage ist, sich zu 100% seiner Arbeit zu widmen. Und das ist spätestens dann nicht mehr der Fall, wenn man Kinder bekommt oder sich um eine pflegebedürftige Person kümmern muss. Die Ungerechtigkeit besteht doch darin, dass die Chancengleichheit an der Zeit die man in eine Sache investieren kann, gemessen wird. Wenn man es in seinem Beruf zu etwas bringen möchte, muss man dem Ideal entsprechen: Verfügbarkeit, Flexibilität, Engagement. Und das betrifft zwar überwiegend Frauen, ist aber bei Männern auch nicht anders.
Kinder sind der Grundstein unserer Gesellschaft. Sie anständig großzuziehen, ist ein anspruchsvoller Full-Time-Job der Zeit, Geld und Nerven kostet. Die Diskriminierung, ja geradezu Verachtung, die Eltern und ja, besonders Frauen, im Berufsleben erfahren, macht es schwierig dem Rollenzwang zu entkommen und führt oft dazu, dass man beruflich degradiert wird.

BR: Dein zweites Standbein ist die Schauspielerei. Es gibt immer noch zu wenig Rollen für Schauspielerinnen und meist sind die Darstellungen sexistisch verzerrt. Wie beschriebst Du die Situation der Schauspielerinnen?

JK: Ich bin keine Schauspielerin. Ich habe es weder gelernt noch macht es mir sonderlich Spaß. Ja, ich habe das ein oder andere Mal vor der Kamera gestanden, mir die andere Seite angeguckt und damit ein wenig dazuverdient; so wie andere Mal im Club an der Bar ausgeholfen haben. Das war im Großen und Ganzen eine tolle Erfahrung die mir in meinem Beruf als Set-Aufnahmeleiterin immer wieder zugutekommt.
Ich denke, die Schauspielerei ist gerade für Frauen ein sehr undankbarer Job. 80% der Frauenrollen sind für 20- bis 30-Jährige geschrieben. Wenn man also bis 30 nicht durchstarten konnte, ist man praktisch weg vom Bildschirm. Ich würde die Darstellung der Frauen im Fernsehen nicht pauschal als sexistisch bezeichnen, ich halte von diesem Schubladendenken auch nichts. Im besten Fall ergibt ein Film eine Geschichte und wenn es dabei um einen Prinzen und eine Prinzessin geht, dann finde ich die klassische Darstellung auch schön, dann muss die Prinzessin keinen Hosenanzug tragen.
Aber es ist natürlich nicht abzustreiten, dass die besten Rollen meist für Männer geschrieben und Frauenrollen wahnsinnig Klischee behaftet sind. Und ich verstehe auch nicht, warum ein Mann mittleren Alters anscheinend soviel attraktiver ist wie eine gleichaltrige Frau.

BR: Welche Vorbilder und inspirierenden Frauenbilder auf dem Bildschirm und der Leinwand wünscht Du Dir für Deine Tochter?

JK: Ich denke, dass die Generation meiner Tochter viel selbstverständlicher mit der Gleichberechtigung aufwächst wie die Generationen davor. Dass Mädchen genauso viel wert sind, wie Jungs braucht man den Kindern nicht mehr zu erklären, die jetzigen Eltern sind ja die Ersten, die es vorleben können und auch müssen. Denn mit dem klassischen Modell der „ewigen Hausfrau“ und des „Geschäftsmanns“ kann man eine Familie kaum noch ernähren.
Ich möchte mich nicht „vermännlichen“ müssen, ich bin gerne eine Frau. Ich mache mich gerne hübsch und trage gerne ein Kleid. Trotzdem habe ich den großen LKW-Führerschein und fahre privat mit meiner Harley über die Landstraßen. Ich spiele auch unglaublich gerne Billard, bin gut im darten und trinke Abends lieber ein Bier statt ein Glas Prosecco. Die Barriere findet in unserem Kopf statt.
Für meine Tochter wünsche ich mir, dass sie sich keine männlichen Tribute aneignen muss, um in ihrem Leben weiterzukommen. Souverän, weiblich, bestimmt und mit unseren eigenen Eiern. Die reichen nämlich völlig aus um sich in der Männerwelt durchzusetzen.

Erschienen in  am 09. Juli 2020
Foto © Marco Orlando Pichler