Wo ist die Solidarität der Filmbranche, von der neulich noch alle gesprochen haben? Die Corona-Krise hat viele Schwachstellen des Systems wieder deutlich aufgezeigt.
In vielen Artikeln wird davon gesprochen, wie wunderbar die Filmbranche doch „zusammengerückt“ sei in dieser schwierigen Zeit. Um es gleich vorwegzunehmen: Es gibt sicherlich Produktionen, die das ganz großartig gemeistert haben, die keine Kosten gescheut und sogar das Pensum reduziert haben. Doch die Corona-Krise hat auch viele Schwachstellen unseres Systems wieder ganz deutlich aufgezeigt. Auf Messers Schneide bewegen wir uns durch den Dschungel der ohnehin schon fragwürdigen Arbeitsbedingungen, hangeln uns von Maßnahme zu Maßnahme im Busch der Hygieneauflagen und versuchen die Missstände, die auch vorher schon existiert haben, zu vertuschen. Jeder macht, was er für angebracht hält, von einer geraden Linie kann nicht die Rede sein. An einem Set werden nur die Schauspieler und Komparsen auf Covid-19 getestet, am andere das ganze Team. Beim nächsten wird das Team zwar getestet, aber nur einige Male und Zusatzpersonal kann durch diesen Umstand leider nicht gewährt werden. Wieder woanders ist der Gruppentest der Renner: Man teilt etwa Schauspieler, die inhaltlich am meisten miteinander zu tun haben, in Gruppen und testet diese zusammen. Wenn ein positiver Test vorliegt, wird die ganze Gruppe isoliert.
Genauso verhält es sich mit dem Mund-Nasen-Schutz. Einerorts hört man, dass dieser nur an Innenmotiven getragen werden muss und wenn der Sicherheitsabstand nicht einzuhalten ist. Andernorts gilt eine generelle Mundmaskenpflicht. Die einen versammeln, für die Hygienische Erstunterweisung, das ganze Team an einem Fleck, die nächsten machen das per Video. Das Catering ist an dem einen Set angehalten, absolut jede Speise, jeden Kaffee, jedes Getränk selbst auszugeben. Am nächsten gibt es den üblichen Set-Tisch mit nun einzeln verpackten Broten. Bei den einen wird täglich Fieber gemessen, bei den anderen ist das nur bei den Schauspielern zwingend erforderlich. Mal gibt es medizinisches Personal, was diese Aufgabe übernimmt, mal wird die Set-Aufnahmeleitung damit betraut.
Man könnte diese Diskrepanzen stundenlang fortführen. Und man kann noch nicht einmal jemand direkt einen Vorwurf machen. Der Produktion? Dem Sender? Dem Produzenten? Den Ländern? Letzteren und unserer Politik wohl noch am ehesten, denn auch da ist keine gerade Linie zu erkennen, und oft hat man das Gefühl, dass die Maßnahmen völlig irrational und willkürlich sind.
Und so ist es auch beim Film: Fünf Tage Quarantäne für Beteiligte einer Kussszene. Wer bitte hat diese Regel aufgestellt? Waren es nicht immer 14 Tage? Wie ist man darauf gekommen, dass bei Schauspielern fünf Tage ausreichen? Darf man einen Schauspieler als Arbeitgeber überhaupt dazu „zwingen“, sich fünf Tage lang in Quarantäne zu begeben? Klar, vielleicht macht er oder sie das auch gerne freiwillig, aber ich denke, die Wahrscheinlichkeit, dass man den Job nicht bekommt, wenn man sich weigert, ist immens hoch. Und jetzt die ultimative Frage: Werden Quarantäne-Tage denn generell bezahlt? Ich möchte keinem etwas unterstellen, aber jeder wird einsehen, dass es unserer Branche durchaus zuzutrauen ist, dies nicht zu tun.
Kommen wir zur nächsten Abteilung: Maske und Kostüm. Bei den einen dürfen die Kollegen ihren Job praktisch gar nicht mehr ausüben. Sie müssen in einem Sicherheitsabstand von zwei Metern zu den Schauspielern stehen und dürfen diese lediglich coachen. Dadurch schaufeln sie sich gewissermaßen ihr eigenes berufliches Grab, denn sind die Darsteller erst mal angelernt, lässt sich’s auch weiterhin ohne Vollbesetzung auskommen. Selbst ihre Präsenz am Set ist mancherorts nicht erwünscht, Gruppenbildung gilt es ja zu vermeiden. Am nächsten Set wird quasi in Ganzkörpermontur geschminkt und angezogen, wieder bei anderen reicht der Mundschutz völlig aus.
Beim Ton wird bei den einen verkabelt wie zuvor, bei den Nächsten ist das strikt unterbunden, da wird nur noch geangelt.
Beim Mittagessen werden die aufwendigsten Vorkehrungen getroffen, damit ja jeder in 1,5 Metern Distanz zum Nächsten essen kann, und kurze Zeit später dreht man in einem 20-Quadratmeter-Zimmer, wo es unmöglich ist, den Sicherheitsabstand einzuhalten. Wieder andere haben auch für diesen Fall Vorkehrungen getroffen: Einbahnstraßensystem, jede Abteilung einzeln ins Motiv. Das ist auch eine wirklich schöne Sache, die auch für die Zukunft durchaus wünschenswert ist, aber das funktioniert doch nur, wenn man mehr Zeit hat. Und das ist wirklich das Einzige, was ich von den wenigsten gehört habe: dass das Drehpensum angepasst wurde. Es stimmt schon, dass manche Produktion sogar öffentlich bekannt gegeben hat, das Pensum sei reduziert worden. Lobenswert! Mich würde interessieren, ob es dabei geblieben ist. Denn ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser Zustand in unserer vertrackten, geldabhängigen und geizigen Filmwelt von den Produktionen lange getragen werden kann. Und wann und wie wird dieses Pensum eigentlich nachgeholt?
Und damit sind wir auch schon bei den eher unangenehmeren Themen angekommen: Personal- und Gagenkürzungen, Zeitdruck, Konditionierung und die verheerende Dankbarkeit dafür, in dieser schwierigen Zeit, überhaupt in Lohn und Brot zu stehen. Denn damit sind wir ausgeliefert, damit nimmt der strukturelle Machtmissbrauch seinen Anfang. Was vorher wenigstens kaschiert wurde, wird jetzt gnadenlos auferlegt, während, im gleichen Zuge, inbrünstig mit den Wörtern „Solidarität“ und „Zusammenhalt“ um sich geworfen wird. Man geht über Leichen, wem es nicht passt, der soll zu Hause bleiben und sich nicht beschweren.
Ich glaube, die Branche könnte aus dieser Krise viel lernen, man könnte sie zum Anlass nehmen, um die Dinge zu verbessern. Man könnte Personal aufstocken, wie es viele andere Betriebe in der Wirtschaft schon zwangsläufig getan haben. Man könnte sich jetzt durchsetzen und mehr Geld rausschlagen, um die Produktionsdauern zu verlängern. Man könnte wunderbar mit dem gesundheitlichen Wohl der Filmschaffenden argumentieren; es kann nicht gesund sein, 12 Stunden lang mit Mundmaske bei 30 Grad Celsius auf einem Kornfeld in der prallen Sonne zu stehen. Wo sind die Leute, die das jetzt in der Hand haben? Wo bleibt der Teamgeist? Wollen wir nicht alle bessere Filme machen, die deutsche Filmkultur wieder aufleben lassen, kontroverse Inhalte präsentieren und einfach mal wieder einen richtig geilen Film machen? Und überhaupt: Wann ist die Courage eigentlich so feig geworden?
© Josephine Kroetz, erschienen Out-Takes.de am 22. Juli 2020